Nach sechs Jahren und 70+ Suden, die überwiegend von verzeihender obergäriger Machart waren, möchte ich nun gewissermaßen im Hobbybrauer-Sinne unkonventionell werden, indem ich mich einem traditionsreichen Stil zuwende, den ich sehr schätze.
Ich spreche vom Böhmischen Pilsener oder auch dem Tschechischen Hellen (Premium) Lager. Ich möchte meine Ausstattung dafür standesgemäß erweitern, die korrekten Zutaten verwenden und natürlich den Brauprozess und die Gärung im Rahmen meiner Möglichkeiten stilkonform gestalten. Ob das Vorhaben von Erfolg gekrönt wird, steht in den Sternen. Mein erster Versuch eines Böhmischen Lager war jedenfalls sehr ausbaufähig.
Ein kommerziell weit verbreitetes und traditionsreiches Beispiel für den Stil ist neben dem Pilsner Urquell, welches für viele Bierliebhaber aufgrund des namensgebenden Ursprungs, das Pils schlechthin ist, das Helle Lager der Budweiser Brauerei (Pivovar), kurz Budvar. Drei Umstände machen mir die Entscheidung leicht, dieses Beispiel als groben Leitfaden für meine weitere Planung heranzuziehen.
Zum einen war ich gerade erst Mitte April bei der Home Brew Bayreuth, bei der Budvar mit einem Stand vertreten war. Hier konnte ich mich noch einmal überzeugen, wie ausgewogen lecker diese Biere sind. Auch die Zapftechniken und den richtigen Umgang mit Gläsern konnte ich hier unmittelbar erleben. (Kleine unschöne Anekdote: Das Kaltwasserbecken für die frischen Gläser lag natürlich unmittelbar am Tresen, an dem auch Leute für eine Füllung ihres Verkostungsglases anstanden. Einer der Helden dachte sich, er könne für ein reines Budvar die letzten Tropfen aus seinem Glas entfernen und kippte sie in das saubere Gläserbecken. 🙁 )
Ferner wurde ich auf YouTube fündig. Hier gibt es eine vierteilige kleine Serie von „The Malt Miller“, die sich vor ca. einem Jahr sehr intensiv mit dem Stil befasst hatten und dazu auch die Brauerei in Budweis besucht hatten. Erst vor zwei Wochen erschien dann sogar ein Folgevideo mit Radim, einem Budvar Ambassador, den sie in der Videoserie mehrfach trafen und der hier ein Lager auf einem Brewtools-System zuhause braut. Faust auf’s Auge, würde ich sagen! Interessant war auch noch ein nettes Interview-Video mit ganz konkreten Rezept-Tipps und vielem mehr.
Und schließlich ist das Bier in unserer Heimat gut verfügbar, wie allerdings auch das Pilsner Urquell. Die zwei weiteren großen Tschechischen Brauereien, Staropramen und Kozel, trifft man hier etwas seltener an.
Zutaten
Die Liste der Zutaten ist recht kurz. Man kann ein Tschechisches Pils grundsätzlich sehr korrekt als SMASH-Rezept gestalten: mit 100% Böhmischem Tennenmalz (Bohemian Floor Malt) und 100% Saazer Hopfen. Das Malz wähle ich von Weyermann. Tennenmalz unterscheidet sich vom normalen Pilsner Malz – zumindest traditionell – durch etwas geringer vorgelöste Proteine mit einer Kolbachzahl von ca. 35%. Das kann laut o.g. Interview für einen volleren Körper des Bieres sorgen. Ich frage mich, ob das stimmt, bedeutet es doch zunächst, dass man eine längere Proteinrast einhalten sollte, was die Rezepte aus o.g. Quellen ebenfalls vorsehen. Ohnehin scheint diese These geringerer Eiweißlösung heutzutage nicht mehr unbedingt wahr zu sein, wie ein Blick in die Weyermann-Datenblätter der entsprechenden zwei Malze bestätigt. Allerdings gibt es noch andere Unterschiede. So finden beim Tennenmalz bestimmte Gerstesorten wie Bojos Verwendung, denen ein besonders komplexes Aroma zugeschrieben wird. Nunja, ein Brülosophy Exbeeriment konnte aromatische Unterschiede statistisch nicht bestätigen.
In manchen Rezepten wird etwas Münchener Malz ergänzt, um die Farbe und den Malzcharakter etwas zu heben. Oft auch Melanoidin Malz, um im Falle einer Single Infusion Mash ein wenig dem aus der Dekoktion rührenden kernigeren Aroma näher zu kommen. Gelegentlich wird die Schaumstabilität auch mit etwas CaraPils unterstützt. Ich habe mich noch nicht final entschieden, tendiere aber dazu, erst einmal bei 100% Pilsner Floor Malt zu bleiben.
Budvar verwendet keine Hopfenpellets, sondern ausschließlich das getrocknete Material der ganzen Dolden, doch um weniger Material im Kessel zu haben, werde ich bis auf Weiteres bei T90 Pellets bleiben. Wahrscheinlich bittere ich nicht mit Saazer, sondern mit dem alphasäurestärkeren Magnum.
Um eine geeignete Hefe zu finden habe ich nach stilgemäßen Trockenhefen mit etwas geringerem Endvergärungsgrad gesucht und mich (erneut) für die Mangrove Jacks M84 entschieden.
Das sehr weiche Böhmische Brauwasser war einst ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor des Stils. Ich werde mein Wasser auf ca. 20 bis 25 ppm TDS entsalzen.
Maischeschema mit Dekoration
In Nordamerika und Westeuropa werden Lagerbiere – auch solche in Anlehnung an Tschechische Biere – meist im Aufheizverfahren (Single Infusion Mash) gemaischt. Es ist so schön einfach! Doch wenn man Tschechische Brauer fragt, dann schwören sie in der Regel auf Dekoktion, meist zwei- oder dreistufig. Auch international ist die Ansicht weitgehend anerkannt, dass kernigere, nussigere, bernsteinfarbene Biere, die eine komplexe malzaromatische Komponente mitbringen sollen, von einer Dekoktion profitieren. Nachteile liegen im höheren Geräte-, Zeit- Energie- und Arbeitsaufwand. Im Heimbraumaßstab ist mit einer größeren Sauerei zu rechnen und drauf zu achten, dass man sich nicht verbrüht, wenn mit Schöpfkellen und Töpfen mit kochender Gerstensuppe hantiert.
Nach Recherche, insbesondere mit den genannten YouTube-Quellen, komme ich für meinen ersten Sud zu dem folgenden Maischeplan.
Das tiefe Einmaischen bei 38 °C und die kurze Eiweißrast bei 53 °C entstammen den traditionellen Verfahren. Ob das mit dem heutigen Weyermann Tennenmalz mit einer Kolbachzahl von ≥36% wirklich noch so sein muss, kann man anzweifeln. Die einzige Kochmaische entnehme ich unmittelbar nach Erreichen der 63 °C. Der im Kettle verbleibende Teil hält nun während der Arbeit an der Kochmaische für über 40 Minunten die 63 °C (ABER ACHTUNG: Siehe Learnings). Die Kochmaische fährt auf dem Küchenherd ungefähr 73 °C an und hält diese für eine gründliche Verzuckerung. Hier ist das Rühren für eine halbwegs homogene Temperaturverteilung wichtig. Danach weiter zum Kochen und auch hier engmaschig rühren, damit nichts anbrennt. Danach zurück in den Hauptkessel und hier geht’s dann ab dem Einstellen einer 72 °C Rast „normal“ weiter. Dann Abmaischtemperatur einstellen, Malt Pipe heben, Vorlauf für einige Minuten, dann Sparging und Heizen zum Kochen.
Gärung und Lagerung
Tschechische Brauer empfehlen hier als bewährtes. Offensichtlich, weil es alt bewährt ist: Für eine gesunde Hefe in ausreichender Zellzahl sorgen. Kalt anstellen bei ca. 7 °C. Kommen lassen auf ca. 10 °C. Kostant halten und nicht über 11 °C steigen lassen. Die Dauer der Hauptgärung entspricht etwa der Stammwürze in °P, also ca. 12 Tage.
Interessanterweise hat man es bei Budvar wenig mit Diacetyl zu tun, im Gegensatz zum Pilsner Urquell. Das liegt nicht etwa an einer Diacetylrest. Im Gegenteil, die gibt es bei Budvar nicht! Vielmehr sorgt die sehr lange und sehr kalte Reifung von ca. 90 Tagen bei 2 °C zuverlässig für den Abbau der Gärnebenprodukte. Man gibt dem Bier so viel Zeit, wie es braucht. Zeit und konsequente Kühlung ist die „magische“ Komponente!
Ob ich mich so lange gedulden kann, werden wir sehen. 🙂 Einen so kalten Kühlschlschrank zu nutzen, wird bei mir auch etwas schwer, so dass mir 4-5 °C genügen müssen.
Zapfen und Gläser
Das Zapfen Tschechischer Lager ist eine Kunst für sich. Ich gönne mir ja gerne hin und wieder neues Equipment und so ist in diesem Kontext bereits ein Lukr Side Pull Faucet geordert. Die Besonderheit dieser Zapfhähne ist das zentrale Kugelventil, das bei voller Öffnung sehr klar das Bier strömen lässt und bei leichter Öffnung den so besonderen, weichen, „süßen“, nassen Schaum erzeugt. Der Effekt ähnelt dem eines Risses in einer Flüssigkeitsleitung unter hohem Druck: An der Engstelle wird die Flüssigkeit im weiteren Verlauf des Hahns kontrolliert „verspritzt“. Es folgt dann im Auslass ein feines Sieb, das den Schaum homogener macht, so dass er sehr gleichmäßig fein ins Glas läuft.
Übrigens zuerst der Schaum, dann unter den Schaum das Bier. Also ganz anders als beim pingeligen deutschen Barkeeper, bei dem der Zapfhahn nicht das Glas berühren soll und schon gar nicht ins Glas tauchen darf: Hier ist genau das Eintauchen, bis der Glasrand (fast) an den waagerechten Verlauf des Zapfhahns stößt, stilecht und gewünscht.
Die typischen Biergläser sind kugelige, dickwandige Glaskrüge mit Henkel. Sie werden in aller Regel manuell mit einem Glasschwamm und einem Glasreinigungsmittel gereinigt und in ein Becken mit sauberem klaren kalten Wasser gelegt, bis sie zum Zapfen benötigt werden, so sie dann sauber, kühl und wassernass sind. Sechs Budvar-Gläser „Iconic 500ml“ sind bereits auf dem Weg zu mir.
Update 2024-04-22: Heute angekommen: Sechs Budvar Gläser und der Lukr Faucet nebst Zubehör.